Der Panamakanal — Segen für die Schifffahrt, Gefahr für die Ökosysteme
Meisterwerk der Ingenieurskunst, Baustelle der Hölle, Wiege eines Landes, Segen für den Welthandel — aber auch zunehmend gefährdetes Nadelöhr und Einfalltor zur Faunenverfälschung und für invasive Arten: Der Panamakanal hat auch im übertragenen Sinne „zwei Seiten“.
Meisterwerk und Baustelle der Hölle
Der erste Anlauf scheiterte: Erbauer Lesseps, der den Suezkanal erfolgreich gemeistert hatte, hielt den Panamakanal für ähnlich „leicht“ zu bauen. Doch hier herrschte nicht ebene Wüste, stattdessen ging es durch bergiges Gelände, das mit dichtem Dschungel bewachsen war. Die Anstrengungen sowie Unfälle, die Malaria und andere Krankheiten rafften die Arbeiter nur so dahin. 22.000 Menschen sollen laut der damaligen „Buchführung“ beim Bau gestorben sein — gezählt wurden dabei allerdings nur „weiße“ Opfer. Die tatsächliche Todeszahl dürfte somit noch weit höher liegen.
Zudem zeigte sich: Ein Kanal auf durchgehendem Niveau zu bauen, war völlig unmöglich. Als Lesseps schließlich umplante und Schleusen projektierte, war ein Scheitern bereits nicht mehr abzuwenden: 1888 war das Kanalbau-Unternehmen pleite (was zu einem der größten Finanzskandale führte)!
1902 ging es dann in die erfolgreiche „2. Runde“, nachdem die USA das Vorhaben inkl. der bereits gebauten Teile für schlappe 40 Millionen US-Dollar aufkauften. Präsident Theodore Roosevelt hatte sich davon überzeugen lassen, das steckengebliebene Projekt fertig zu stellen. Triebfeder dahinter waren vor allem militärisch-strategische Überlegungen: Für die US-Marine war und ist es ein unermesslicher Vorteil, im Bedarfsfall Schiffe schnell von der Atlantik- zur Pazifikseite bringen zu können und umgekehrt.
Um besser voranzukommen, forderten die USA das Kanalgebiet von Kolumbien ein und besetzten es schließlich kurzerhand. Sie gründeten einfach ein neues, unabhängiges Land rund um den geplanten Kanalverlauf: Panama war geboren!
Beim zweiten Anlauf wurden die Bedingungen für die Arbeiter verbessert und schließlich gelang das Bauwerk — 1914 passierte das erste Mal ein Schiff den neuen Kanal.
Segen für den Welthandel
Seit jenen Tagen hat sich im Zuge der Globalisierung der Welthandel explosionsartig entwickelt. Heute ist die Bedeutung des Kanals für die internationale Schifffahrt so groß, dass immer wieder auch alte Pläne für einen zweiten Kanal aus den Schubladen geholt und neu diskutiert werden. Doch bislang scheiterten diese Vorhaben — aus ökologscher Sicht muss man sagen: Zum Glück!
Denn ökologisch gesehen ist der Panamakanal weniger ein Segen. Vor allem seit seinem Ausbau in 2016.
Süßwassersee als „unüberwindbare“ Barriere für Salzwasser-Arten?
Prinzipiell ist der Panamakanal sehr genial kontruiert: Durch das Anstauen eines zentral gelegenen Flusses wurde ein großes Süßwasser-Reservoir — den Gatúnsee — angelegt, von dem aus Süßwasser in beide Richtungen in den Kanal fließt. Schiffe durchqueren während ihrer Passage diesen See. Auf Salzwasser angewiesene Arten sollten dadurch absterben und eine Verbreitung somit verhindert werden.
Nur leider klappt das nicht ganz so zuverlässig wie gedacht: Bereits vor dem letzten Ausbau des Kanals wurden diverse Arten verbreitet — von Muscheln (die während der Süßwasserpassage einfach „dicht machen“ können) bis zu Fischen. Und mit den Tieren können auch ihre Parasiten und Krankheitserreger wandern, welche am Zielort ihrer Wanderung dann häufig auf neue Wirtstiere stoßen, deren Immunsystem auf die bis dato unbekannten Parasiten komplett unvorbereitet sind. Ebenso wie die Ökosysteme insgesamt zumindest anfangs oft mehr oder minder „wehrlos“ gegen neu ankommende Arten sind.
Schließlich sind Ökosysteme „gewachsene Systeme“, sie entwickeln sich durch das lange anhaltende Zusammenspiel und die gemeinsame Evolution der enthaltenen Arten. Kommt eine Art „von jetzt auf nun“ dazu, reagieren Ökosysteme häufig extrem empfindlich.
Und so führen auch die Artenwanderungen über den Panama-Kanal zu immer mehr Problemen in den betroffenen Meeresteilen.
Ausbau mit „Wasser-Recycling“ verstärkt das Problem
Apropo Evolution: Auch die Handelsschiffe haben sich „entwickelt“, heutige Schiffe sind in ihrer Größe gar nicht mehr vergleichbar mit früheren. 2016 wurde der Panama-Kanal daher ausgebaut. Und hierbei wurden die neuen Schleusen mit einem „Wasser-Recycling“ ausgestattet: Während früher das Schleusenwasser einfach ausgelassen wurde, gibt es nun große Reservoir-Becken, in denen das Wasser festgehalten und für weitere Schleusenvorgänge wiederverwertet wird, das Schleusenwasser zirkuliert.
In der Folge wird es für wandernde Arten einfacher, die Schleusen zu überwinden.
Hinzu kommt: Der Gatúnsee salzt immer mehr auf. Je salziger er jedoch wird, desto einfacher kann er durch Salzwasserarten besiedelt und überwunden werden. Die „Barriere“ wird durchlässiger…
Der Klimawandel mischt auch noch mit
Und schließlich mischt auch der Klimawandel mit: Wie beschrieben funktioniert der Panama-Kanal auf dem Prinzip des Wasser-Zustroms. Wenn sich aber nun der Wasser-Zustom reduziert? Wenn immer öfter Regen ausbleibt?
In diesem Jahr gab es eine Dürreperiode, die im Frühjahr rund 50 % weniger Niederschläge als gewohnt brachte. Dadurch musste die maximale Beladung der durchfahrenden Schiffe begrenzt werden, weil die verbliebene Tiefe des Kanals für vollbeladene Schiffe nicht mehr ausreichte.
Schützender Regenwald mit faszinierender Tierwelt
Glücklicherweise verfügt Panama über dichte Regenwälder, die den Kanal flankieren. Sie sind angefüllt mit einer einmaligen Tierwelt. So gibt es hier bezaubernde Frösche, solche mit riesigen roten Augen wie den Rotaugenlaubfrosch (Agalychnis callidryas) oder Glasfrösche, deren Unterseite so durchsichtig ist, dass man alle Organe hindurch erkennen kann. Sie legen ihre Eier auf die Unterseite von Pflanzen, die über Gewässern stehen. Hier sind die Nachkommen geschützt vor Fressfeinden, die im Wasser leben — sind dafür allerdings ein beliebter Snack für Wespen und Schlangen. Faszinierend: Nähert sich eine Schlange oder Wespe einem Gelege und beginnt, daran zu fressen, aktivieren die übrigen Embryonen einen „Notfallschlupf“: Sofern das gelege mindestens vier Tage alt ist, schlüpfen in dem Fall die Embryonen und fallen ins Wasser — wo sie außer Reichweite sind für Schlange oder Wespe.
Diese einmaligen Lebensräume rund um den berühmten Kanal, durch den unablässig riesige Schiffe fahren — im Jahr 2022 über 14.000! –, sind jedoch nicht nur wegen ihrer einmaligen Pflanzen- und Tierwelt schützenswert. Vielmehr schützen die selben Urwälder, die für die Arbeiter vor 140 Jahren die Hölle waren, heute auch die Ufer des durch sie hindurch verlaufenden Kanals vor Erosion und sichern vor allem (noch) die Wasserversorgung:
Die Wasserversorgung hängt von den Wäldern ab. Diesen Effekt haben wir im Smithsonian Tropeninstitut kürzlich mit Daten hinterlegt. Jetzt können wir genau kalkulieren, wieviel Wasser ein Wald aufsaugt und in der Trockenperiode dem Umland und den Weideflächen wieder zur Verfügung stellt. Jetzt wissen wir, in welchem Maß Wald sturmbedingte Überflutungen reduzieren kann. In Panama gibt es niemanden, der nicht längst begriffen hätte, wie sehr das Schicksal des Panamakanals von funktionsfähigen Wäldern abhängt.
Steve Paton
In Panama weiß man darum, wie lebenswichtig die Wälder sind und tut einiges, sie zu schützen. Und doch ist alles hier fragil. Neben den sich mehrenden Dürren mit entsprechenden Problemen in der Mitte des Kanals zeichnet sich mit der laufenden Erhöhung der Meerespiegel auch auf Seiten der Mündungen bereits neue Probleme ab…
Nicola Straub ist Diplom-Biologin und pflegt seit mehreren Jahren in ihrer Freizeit hilfsbedürftige Igel.
Im Laufe ihres Lebens hat sie bereits alle möglichen Haustiere gehalten, derzeit gehören neben den jeweiligen Päppel-Igeln als feste Haustiere zwei Axolotl und ein Pferd zu ihrem Haushalt.